Samstag, 19. Januar 2013

Ultimo in chains

Bei der Durchsicht unser geliebten Stadtpostille fragten wir uns heute allen Ernstes, ob sie in den Fesseln des universitären Schlosses dieser Stadt liegt und auf jeden Fall miesepeterisch schlau dahersprechen muss. Wie wir darauf kommen? Bei einer Tasse frisch gebrühten Kaffees mit ordentlich Schaum und ner Selbstgedrehten stießen wir auf die Kritik von "Django Unchained" und begannen uns nach Lektüre derselben zu wundern über die im Formalen verharrende, im Zitatendschungel mit Ratespielen beschäftigte, Tarantinos mangelnde Bildung - vornehmlich wahrscheinlich akademischer Natur - benörgelnde Kritik und fragten uns, ob der Autor überhaupt gerafft hat, was Sache ist.

Nun, wir wollen versuchen zu beschreiben wie wir die Sache sehen. Vorweg, wie schon der Titel des Filmes deutlich macht, geht es um Spaghettiwestern - also um Trash oder Pulp Fiction im weitesten Sinne und nicht um eine Martin Walser Verfilmung von Haneke, gedacht zur Bespaßung von tiefsinnigen Feingeistern mit artistischen Kapriolen. Der Autor der Kritik hat natürlich Recht, wenn er feststellt, dass der Film das Sklavensystem drastisch vorführt und es nicht ausbeutet, aber er weigert sich scheinbar hartnäckig den naheliegenden Schritt zu machen: Das Sklavensystem als besonders zynisches Abbild unseres geliebten (Finanz-)kapitalismus zu begreifen. Dieser wird in seiner perversesten Spielart in Django vorgeführt, besonders gelungen von dem Cabrio. Er droht Broomhilda mit dem Hammer den Schädel zu zertrümmern, da er mit seinem Eigentum ja machen könne, was er wolle. Da ist sie, die lapidare Frage nach Besitz, Eigentum, dessen Grenzen und Rechtfertigung. (Dazu paßt auch, dass im Netz eine geleakte Presse-DVD im Umlauf ist. Böse Zungen behaupten Tarantino selbst hätte sie ins Netz eingespeist.)

Eingekleidet in Unterhaltung der allerbesten Art und Weise, erzählt als visueller Remix, erleben wir eine sehr zeitgemäße Kritik am kapitalistischen System, so dass man schon ein Brett vorm Kopp haben muss, um das nicht zu bemerken. Der Zusammenhang ist gewiss auch nicht neu, wie folgendes Zitat aus dem Jahre 1972 zeigt:
"Every time I 'ear di crack of di whip my blood runs cold,
I remember on di slave ship how dey brutalise your very soul,
Today dey say that we are free
Only to be jailed in poverty.."
(Robert Marley)

Die angeblich "frisch entdeckte Abscheu Tarantinos vor der Sklavereigeschichte der USA" dient nur als Aufhänger. Und wenn wir schon beim Remix sind, neben Spaghettiwestern, klassischen Western, dem Ring und noch vielem mehr, taucht hier das Orgien Mysterien Theater auf. Toll, wie das rote Blut als Abstrakter Expressionismus von den Wänden trieft. Dr. Schulz und Django bewegen sich perfekt als Film Noir Helden, die sich nicht dem herrschenden System unterwerfen, sondern nur ihrem eigenen Moralkodex verpflichtet sind. Die Erzählform bei Tarantino ist wie das Erleben unserer Wirklichkeit, die fragmentiert, zersplittert, gesampelt in eine neue eigene Konstruktion gebracht wird.

Auch ohne das alles zu erkennen, erleben wir einen spannenden Filmabend, der zusätzlich mit schrägen Humor vom Feinsten gewürzt wird. Und Christoph Waltz ist der Hit, da stimmen wir mit der Kritik überein.
Aber schauen wir uns lieber noch nen vermeintlich tiefgängigen Deprifilm aus Berlin oder ne schöne Ethnokitschballade aus Usbekistan an. Ach, liebe Stadtpostille.....


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